laute Worte, stumme Schreie und Wut, viel Wut.

Ich höre meiner Französischlehrerin nicht zu, als sie über unsere Noten spricht. Es ist jedes Mal das gleiche, was sie sagt. Wir sind selbst dafür verantwortlich. Von nichts kommt nichts. Wer was macht, schafft auch was. Ich horche erst auf, als ich Sams Namen höre. "Monsieur Sam", setzt sie grade an, "hat sich dieses Jahr zum Beispiel viel Mühe gegeben, sich ins Zeug gelegt. Ist jetzt von seiner 5 runtergekommen". Ich muss mir auf die Zunge beißen, um nicht bitter aufzulachen. Monsieur hat sich lediglich Mühe bei der Partnerwahl gemacht. Und sein ins Zeug legen bestand auch nur daraus, mir dabei zuzusehen, wie ich seine Hausaufgaben mache. Ich wage es nicht, mich umzudrehen, um seine Reaktion auf das Lob zu sehen. Ich kann mir vorstellen, dass er am liebsten unter seinem Tisch verschwinden würde, weil mich mittlerweile die ganze Klasse anstarrt. Jules wird mir einen grinsenden Blick zu und streckt den Daumen aus. Gut gemacht, Valerie. Ich senke den Blick. Versuche, die Wut zu unterdrücken, die in mir hochsteigt. Die ich nicht verstehen kann. Das hab ich alles gern gemacht, es gehört zu meiner Natur. Ich stütze meinen Kopf in meine Hände und versuche, die Stimmen um mich herum auszublenden, die alle darüber zu reden scheinen. "Hey du", höre ich Sams Stimme hinter mir, wie er seinen Banknachbarn anspricht, "Sie ist nicht mehr mit ihrem Freund zusammen". Bleischwere Angst sickert mir in alle Glieder und ich bin kaum fähig mich zu rühren, aber ich kann auch nicht aufhören, alle anderen Stimmen auszublenden. Ich höre Sam klar und deutlich hinter mir reden. Höre, wie er sich fragt, ob sich da wohl was entwickeln könnte. Wie er sagt, er sei auf einem guten Weg dahin. Das Rauschen in meinen Ohren und meine kreischende innere Stimme unterbricht seine Worte. Tränen steigen mir in die Augen, als ich realisiere, dass sich meine Vermutung nun bestätigt. Dass alles leere Ausflüchte waren, Ausreden, Lügen. Noch mehr Wut steigt in mir auf. Wut, weil er mich ersetzen kann. Wut, weil ich mich ersetzen lasse und ihn gleichzeitig nicht ersetzen kann. Wut, weil er ein geordnetes Leben führen kann. Ich grabe mir meine langen Nägel tief in die Haut, als ich bemerke, dass Alice neben mir schon eine Weile auf mich einredet. "Valerie? Du wirst gebraucht! Wie machen wir das nun, wie organisieren wir das?", fragt sie mich. Aber bevor ich nachfragen kann, wovon sie spricht, fährt sie fort: "Was wenn wir das wie eine Nachrichtensendung aufbauen? Sie steht auf sowas, das bringt uns unsere Note ...". Das Blut rauscht mir noch immer in meinen Ohren, sodass ich mich nicht im Geringsten auf ihre Worte einlassen kann. "Halt einfach die Klappe, Alice, okay?", fauche ich sie an und vergrabe meinen Kopf in meinen Händen. Alice reagiert nicht etwa erschrocken, oder beleidigt oder verletzt - wie andere es getan hätten. Sie legt mir eine Hand auf die Schultern und lässt sie liegen, während meine Schultern beginnen zu beben und mir heiße Tränen über die Wangen laufen. In diesem Moment realisiere ich, dass das doch keine endlose Geschichte ist. Nicht die große Liebe. Nichts, was sich wieder hinbiegen lässt. Nichts, worauf man hoffen kann. Nur etwas was vorbei ist. Vorbei, vorbei, vorbei.

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